Blogbeitrag:
Macht eine Strafanzeige in Geburtsschadensverfahren Sinn?
Welche Taktiken werden von Haftpflichtversicherern angewandt, um Zeit zu gewinnen oder auch die Regulierungen hinauszuzögern?
Hinderliche Ermittlungsverfahren und Verzögerungstaktiken in Geburtsschadensverfahren
Macht es wirklich Sinn eine Strafanzeige zu stellen, wenn man Schadensersatz und Schmerzensgeld für ein bei der Geburt geschädigtes Kind erreichen möchte?
Kann man überhaupt eine problemlose Regulierung durch die Haftpflichtversicherer der Ärzte/Krankenhäuser erwarten, selbst wenn man die strafrechtliche Verantwortlichkeit nachgewiesen hat?
Aus der anwaltlichen Sicht müssen beide Fragen mit „Nein“ beantworten.
Macht eine Strafanzeige in Geburtsschadensfällen Sinn?
Eine Strafanzeige im Arzthaftungsrecht wird nur selten als produktiv, geschweige denn als zielführend betrachtet. Nicht selten spricht man auch vom Anwaltsfehler, wenn man zur Strafanzeige rät. Spätestens, wenn man versucht auf zivilrechtlichem Weg Schadensersatz für das Kind zu erstreiten, ist eine Strafanzeige die falsche Taktik. Eine Strafanzeige führt kaum zum Erfolg, da die sog. Unschuldsvermutung den beschuldigten Arzt oder die Hebamme häufig retten kann. Sollte etwa neben einem Behandlungsfehler auch noch ein anderer Faktor zum Schaden des Kindes geführt haben können, so kann man sich auf Seiten der Behandler die Unschuldsvermutung zu Nutzen machen. Sollte die Mutter oder das Kind vor der Geburt z.B. bereits Vor- oder Begleiterkrankungen aufgewiesen haben (wie etwa bei einer intrauterinen Wachstumsretardierung - IUGR - oder einem fetofetalen Transfusionssyndrom - FFTS ), dann werden solche Verfahren meist eingestellt: „in dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagtan also. Schließlich war bereits ein Schädigungsmechanismus im Mutterleibe aktiv, welcher u.U. den Schaden des Fötus entscheidend bedingt hat. Dies kann dann mitunter keinem Behandler angelastet werden und führt zu Verfahrenseinstellung, da die im Strafverfahren entscheidende Schuldfrage nicht geklärt werden kann.
Die Regulierung von Schmerzensgeld und Schadensersatz bleibt dann häufig aus, wenn ein Strafverfahren gegen die Behandelnden eingeleitet und eingestellt wurde.
Schon die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, beginnend mit der Stafanzeige, hat einen nachteiligen Effekt:
Die Haftpflichtversicherung stellt sich dann nur noch auf den Standpunkt, dass man zuerst das Ergebnis dieses Ermittlungsverfahrens abwartet, bevor man über Entschädigungsleistungen oder eine Regulierung entscheidet. Mitunter vergehen auf diese Weise Jahre, bevor überhaupt eine Entschädigung thematisiert wird.
So gesehen muss von einer Strafanzeige abgeraten werden. Man sollte also immer seine Entscheidung von dem vorrangigen Interesse der Geschädigten abhängig machen und gründlich abwägen. Will man Entschädigung für den lebenslangen Schaden oder will man den Behandlern lediglich auf die Finger klopfen?
Überlebt das Neugeborene die geburtshilfliche Behandlung nicht, kann allerdings mitunter ein Ermittlungsverfahren wesentlich zur Beweissicherung beitragen, so dass man im Einzelfall auch ein Ermittlungsverfahren anstoßen sollte. Es geht in den Fällen mit tödlichem Ausgang in aller Regel auch nicht mehr um die Erlangung von hohem siebenstelligen Schadensersatzbeträgen, so dass mitunter das Ermittlungsverfahren mit seinem möglichen Sanktionsziel wieder an Bedeutung gewinnt.
Ich rate daher in der Regel von strafrechtlichen Schritten ab. Sie mögen im Einzelfall gut begründet sein, sind jedoch immer sorgfältig gegen die Interessen der Geschädigten an einer zügigen und reibungslosen Entschädigung abzuwägen.
Schadensregulierung durch den Versicherer in Geburtsschadensfällen
Es kommt viel zu häufig vor, dass Haftpflichtversicherer es nicht bewerkstelligen, schnell und angemessene Entschädigungsleistungen bereitzustellen, vor allem wenn es um die Regulierung von Personengroßschäden geht.
Versicherer haben in Medizinschadenfällen immer die Möglichkeit, durch von ihnen selbst finanzierte Gutachten, die Verhandlung zu erschweren und neue medizinische Argumente zu finden. Gerade bei Schwerstgeschädigten wird diese Methode angewandt, um Zeit zu schinden und Druck auszuüben. Das kann darin resultieren, dass überhaupt keine Regulierung oder nur eine sehr kleine Regulierung (Lästigkeitszahlung) geleistet werden muss.
An der ersten Vorschusszahlung der gegnerischen Haftpflichtversicherung kann man bereits sehen, wie ernst diese es mit den Regulierungverhandlungen meint. Vor allem in Geburtsschadensverfahren ist dies ein wichtiger Indikator. Meistens handelt es sich um einen Schaden in Millionenhöhe. Eine mittlere sechsstellige Vorschussleistung wäre das Mindeste, um ein Signal zu senden, dass die Haftpflichtversicherung die Regulierungen ernst nimmt.
Weil ich zu einem geduldigen und überlegten Vorgehen in außergerichtlichen Arzthaftungsverfahren rate, schließt dies bereits im Ansatz die Vermeidung von langwierigen und frustrierenden Strafverfahren ein. Hierzu gehört auch die rechtzeitige Erkennung von Hinhaltetaktiken der Gegenseite und die häufig betriebene Politik der kleinen Scheibchen, um ihnen konstruktiv entgegenzuwirken. In den meisten Fällen wird nach der ersten ausführlichen Stellungnahme der gegnerischen Haftpflichtversicherung deutlich, ob eine Grundlage für konstruktive Verhandlungen gegeben ist oder ob möglicherweise der effizientere und letztlich auch verbindlichere Weg über eine Klage vor den Zivilgerichten eingeschlagen werden muss.
Jan Tübben, Fachanwalt für Medizinrecht