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Blogbeitrag:

Schadensersatz, wenn Gynäkologen nicht über Operationsmethoden beim Ungeborenen aufklären

Der Spiegel berichtet in seiner aktuellen Ausgabe (10/23) über einen blinden Fleck der Pränatalmedizin.

Spiegel online "Warum so viele Eltern nichts von rettenden Therapien für ihre Kinder erfahren"

In der Schwangerschaft sind nach den Mutterschaftsrichtlinien bestimmte diagnostische Verfahren, vor allem Ultraschall, vorgeschrieben. Hierbei werden mitunter fetale Erkrankungen und auch Fehlbildungen erkannt. Es stellt sich für manche Betroffene möglicherweise die schmerzhafte Frage nach einem zulässigen Schwangerschaftsabbruch. Was viele offenbar nicht wissen: nicht jede Erkrankung des ungeborenen Kindes bedeutet automatisch, dass auch das Schicksal des Kindes in Form eines Lebens mit schweren Behinderungen oder sogar dem drohenden Tod besiegelt sein muss!

Im Gegenteil:

Es gibt kindliche Krankheitsbilder, die – im Mutterleib rechtzeitig erkannt – gute Chancen auf Therapie haben bzw. gehabt hätten! Das Problem: viele Schwangere und werdende Eltern wissen nichts von diesen fetalchirurgischen Therapieoptionen, weil sie vom Frauenarzt und Pränataldiagnostiker überhaupt nicht darüber aufgeklärt werden. Dabei wird die Fetalchirugie schon seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland und auch im deutschsprachigen Ausland (weltweit allemal) erfolgreich praktiziert. Bedrohliche Erkrankungen wie die

  • Spina bifida,
  • Amnionbändersyndrom,
  • LUTO,
  • Aortenisthmusstenosen
  • Zwerchfellhernien
  • Aszites
  • Hydrothorax
  • bestimmte Herzfehlbildungen

können längst mit guten Erfolgsaussichten durch intrauterine bzw. vorgeburtliche operative Verfahren und Eingriffe behandelt werden. Dennoch führt dieses Wissen unter niedergelassenen Gynäkologen, teilweise auch Krankenhausärzten ein kaum nachvollziehbares Schattendasein. Kinder, die u.U. mit einer guten Prognose hätten operiert werden können, sind hierdurch u.U. mit scherwiegenden Beeinträchtigungen auf die Welt gekommen, oder haben das Licht der Welt überhaupt nicht erblickt, weil sich die Eltern aufgrund einer vermeintlich unglückseligen Prognose für einen Abbruch der Schwangerschaft entschieden haben.

Dieses Unwissen ist menschlich und auch medizinjuristisch kaum nachzuvollziehen, zumal jeder niedergelassene Arzt und auch jeder Krankenhausarzt verpflichtet ist, sich medizinisch laufend fortzubilden und auf der Höhe der Zeit und der guten fachmedizinischen Standards zu bleiben.

UNERKLÄRLICHE WISSENSDEFIZITE UNTER MEDIZINERN?

Es muss also dieses einschlägige Fachwissen schlicht bei jedem Fachmediziner vorausgesetzt werden. Die Patienten müssen erwarten dürfen, dass Ihnen Therapieoptionen mit Aussichten auf Erfolg eröffnet werden, um eine eigene, selbstbestimmte Entscheidung über die Therapie zu treffen.

Fallen also bei der routinemäßigen Schwangerschaftsuntersuchung Anomalien beim Kind auf, hat auch eine Reaktion hierauf durch den Behandler zu folgen. Keinesfalls dürfen die werdenden Eltern über den Befund zum einen, aber auch Therapiemöglichkeiten zum anderen, uninformiert bleiben. An den Befund knüpfen dann weitere therapeutische Beratungspflichten an. Die  Eltern müssen informiert werden, dass ein möglicherweise bedrohlicher aber eben auch behandelbarer Krankheitsbefund beim Feten vorliegt und dass eine Abklärung in einer spezialisierten Einrichtung erfolgen kann und muss.

Weiterhin muss aus medizinjuristischer Sicht den Eltern immer mitgeteilt werden, wenn und dass es realisierbare Behandlungsmöglichkeiten und –alternativen, also Therapieoptionen gibt, die das Überleben des Kindes ermöglichen. Auch der Hinweis auf eine u.U. zeitliche Befristung einer solchen Beratung, Abklärung und Therapie kann nicht oft genug eingefordert werden, wenn z.B. nur ein kurzes Zeitfenster bis zu einer bestimmten Schwangerschaftswoche geöffnet ist, um einen erfolgversprechenden Eingriff durchzuführen.

SCHMERZENSGELD UND SCHADENSERSATZ

Neben den fatalen menschlichen Folgen können die rechtlichen Folgen einer unterlassenen Information der  werdenden Mutter erheblich und weitreichend sein.
Intrauterin unbehandelte Kinder können eigene Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche auf Erstattung eines behinderungsbedingten Mehrbedarfs geltend machen, wenn infolge von eben jenen Aufklärungs- und Behandlungsfehlern therapeutische Optionen ungenutzt geblieben sind, um die erkannte intrauterine Erkrankung des Kindes zu behandeln und dieses Kind dann geschädigt auf die Welt kommt.

Möglich sind auch Entschädigungsansprüche werdender Eltern aufgrund einer infolge fehlerhafter Beratung abgebrochenen Schwangerschaft, welche aber bei korrekter Behandlung und Beratung gute Chancen auf einen erfolgreichen Abschluss und ein gutes Überleben des Kindes gehabt hätte. Hierbei geht es dann primär um Schmerzensgeldansprüche der hinterbliebenen Eltern, möglicherweise auch Schadensersatzansprüche der Eltern wegen nunmehr erforderlicher weiterer künftiger Schwangerschaftsbehandlungen bzw. Kinderwunschbehandlungen. 

Es ist zum einen zu begrüßen, dass dieses Thema durch die Publikation im SPIEGEL hoffentlich einen größeren Bekanntheitsgrad erreicht. Genauso bedauerlich ist es aber auch, dass die Thematik offenbar in  der gynäkologischen/geburtshilflichen Fachwelt und Praxis von vielen einfach nicht realisiert wird, deren Gründe dafür im Verborgenen bleiben, vom Unterzeichner aber nur mit Unwissen oder Ignoranz erklärt werden können.

Jan Tübben
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

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